Das lateinische Sprichwort „Über Geschmack lässt sich nicht streiten“ stammt nicht, wie nahe liegend, aus der Antike, sondern wird dem französischen Schriftsteller Jean Anthelme Brillat-Savarin (1755-1826) zugerechnet.1 Höchstwahrscheinlich hat er in seinem Leben noch keine Spekulatius probiert. Denn über Spekulatius lässt sich wirklich viel streiten. Zunächst gibt es zwei Arten von Menschen: Die einen mögen Spekulatius, die anderen nicht. Die letzteren können wir links liegen lassen. Diejenigen, die Spekulatius mögen, müssen sich noch darüber einig werden, welche Art. Nur Butter? Oder lieber Gewürzspekulatius? Oder vielleicht die etwas milder gewürzten, mit Mandelblättchen versehenen Mandelspekulatius? Hier scheiden sich die Geister. Und die wichtigste Frage kommt noch: Frisch und knusprig? Oder ein paar Tage alt, von der Luftfeuchtigkeit weich geworden? Hier wird man sich wohl nie einig werden.2
Ich bin ja tolerant und lasse deswegen jedem seinen Lieblingsspekulatius. Aber nachdem man sich nun nicht auf die richtige Art einigen konnte, könnte man sich doch wenigstens auf eine gemeinsame Geschichte berufen. Und diese soll hier aufbereitet werden.
Fangen wir beim technische an. Der Spekulatius ist ein dünner Keks aus sehr krümeligen Mürbeteig, auch bekannt von Tartes oder als Käsekuchenboden.3 In Deutschland ist Spekulatius ein typisches Weihnachtsgebäck, in anderen Ländern, vor allem den Niederlanden, gibt es sie rund ums Jahr.4 Butterspekulatius haben, wie der Name vermuten lässt, einen besonders hohen Buttergehalt, dafür aber keine exotischen Gewürze. Der Gewürzspekulatius (der ebenfalls nicht mit Butter geizt), ist mit Zimt, Kardamom, Muskat, Nelken, Ingwer und je nach Rezept noch mit weiteren Gewürzen verfeinert. Er ist sehr kräftig im Geschmack, sein naher Verwandter, der Mandelspekulatius ist ebenfalls mit diesen Gewürzen versehen – aber deutlich milder. Zusätzlich hat er noch gemahlene Mandeln im Teig und oftmals Mandelblättchen auf der Rückseite.
Das prägnanteste am Spekulatius ist seine Form. Heutzutage selbstverständlich meist industriell gefertigt, wird der Mürbeteig für traditionell hergestellte Spekulatius in rechteckige Formen gepresst, die mit detailreichen Verzierungen versehen sind. Heute kann man Spekulatius-Formen aus Metall oder Silikon erwerben, früher waren die Formen meist aus Holz, in dem die Motive hineingeschnitzt waren. Ursprünglich wurde auf den Spekulatius-Platten die Nikolaus-Geschichte gezeigt. Nikolaus war im vierten Jahrhundert Bischof von Myra (heutige Türkei) und ihm wird unter anderem nachgesagt, drei Mädchen, die zu arm waren, um Mitgift zahlen zu können und denen deswegen ein Leben in der Prostitution drohte, nachts heimlich Goldklumpen ins Zimmer gelegt zu haben.5 Außerdem bekehrte er einen Juden.6
Aber was hat ein schon ziemlich langer toter Bischof mit Keksen zu tun? Es wird vermutet, dass genau daher der Name stammt. Das deutsche Wort Bischof wird vom altgriechischen ἐπίσκοπος7 abgeleitet‚ das mit „Aufseher“, „Hüter“ oder „Schützer“ übersetzt wird. Dieser Aufseher, Hüter und Schützer heißt wiederum auf Latein speculator. Und deswegen heißen die Spekulatius Spekulatius! Aber Moment, irgendwie kommt mir da was komisch vor. Warum erst altgriechisch, dann lateinisch? Natürlich gibt es auch in Latein ein Wort für den Bischof, nämlich episcopus. Mit dem speculator waren eher ungeistliche Wächter und Aufseher gemeint, so wie die Stadtwache oder Späher in kriegsähnlichens Zuständen.8 So schön diese Geschichte also klingt, ist sie für meine Verhältnisse ein bisschen zu weit hergeholt.
Wenden wir uns also einer anderen möglichen Erklärung für die Namensfindung her. Demnach wird der Name „Spekulatius“ von dem lateinischen Wort „speculum“ abgeleitet, was „Spiegel“ bedeutet.9 Aber warum Spiegel? Wie schon oben erläutert, wurden die detailreichen Motive in Holzplatten geschnitzt. Damit die dann auf den Keksen korrekt abgebildet wurden, mussten die Motive – genau – spiegelverkehrt in die Platten geschnitzt werden.
Ich konnte für mich persönlich nicht entscheiden, welche Theorie ich weiter hergeholt finde – das müsst ihr für euch entscheiden. Aufgekommen sind die bebilderten Kekse im 18. Jahrhundert in den Niederlanden – und waren wohl eine Abwandlung von den beliebten Lebkuchen, die schon deutlich älter sind.10 Das Schnitzen der Motivplatten war ebenso zeitaufwendig, wie die exotischen Gewürze kostspielig waren und so blieben Spekulatius mehrere Jahrhunderte lang nur etwas für Besserverdiener. Erst nach dem 2. Weltkrieg wurden Spekulatius auch für alle Schichten erschwinglich. Mit der industriellen Produktion wurde nicht nur der Preis geringer, sondern auch der Detailreichtum der Motive. Die Nikolausgeschichte ist nur noch selten auf den Keksen abgebildet, sie wurde von Windmühlen, Elefanten oder Häusern ersetzt, was das ganze religiös neutraler macht.
Wer keine Lust hat, die Kekse zu kaufen, kann sie auch selber backen. Ich hab das mal mit Gewürzspekulatius versucht. Schön ist anders, für meinen Geschmack waren die Kekse auch etwas zu wenig süß. Außerdem war das Ausrollen ein Kraftakt, da der Teig durch das lange Ruhen im Kühlschrank unfassbar hart wurde. Der Teig selber ist alles andere als geschmeidig und mir sind einige Plättchen beim Transport auf das Backblech zerbrochen. Alles in allem werden das wohl auch meine letzten selbstgebackenen Spekulatius sein, denn wirklich gern mag ich sie nicht und der Mehraufwand wird durch den Geschmack leider nicht wettgemacht. Ich habe keine Spekulatius-Form, deswegen rollte ich den Teig aus und drückte zum Schluss eine Strukturfolie drauf, um ein wenig Muster in die Kekse zu drücken.
Falls das doch jemand nachmachen möchte, bitteschön:
Zutaten
- 250 g weiche Butter,
- 210 g Rohrohrzucker
- 2 TL Zimt, gemahlen
- ein TL Mandelaroma
- 1/4 TL gemahlener Ingwer
- 1/4 TL gemahlene Nelken
- 1/4 TL gemahlener Muskat
- 1/4 TL gemahlener Kardamom
- 1/4 TL gemahlene Macisblüte
- 1/4 TL Salz
- 1/4 TL Backpulver
- 3 EL Milch
- 480 g Mehl
Zubereitung:
Mehl und Backpulver vermischen. In einer anderen Schüssel Butter, Zucker und Gewürze mit dem Handrührgerät cremig schlagen. Mandelaroma und Milch unterrühren. Die Mehlmischung zu der Buttermasse geben und dann mit den Händen lange (lange, sehr lange) bearbeiten, bis sich die Zutaten zu einer Teigkugel formen lassen. Halbieren und die zwei Kugeln in Frischhaltefolie einschlagen und für mindestens zwei Stunden in den Kühlschrank legen.
Den Ofen auf 180° C Ober/Unterhitze vorheizen. Den Teig dünn ausrollen und mit einem Teigschneider Platten schneiden oder mit einem Ausstecher Kekse ausstechen. Auf ein mit Backpapier belegtes Backblech geben und je nach Größe für ca. 12 – 15 Minuten backen. Ausgekühlt und in Blechdosen verpackt sind die Spekulatius recht lange haltbar.
http://de.wikipedia.org/wiki/De_gustibus_non_est_disputandum ↩
Noch nicht. Weil die Menschheit noch nicht begriffen hat, dass natürlich Gewürzspekulatius, ein paar Tage alt und zart-weich geworden, dazu ein Glas Milch oder Kakao, die einzig richtige Wahl ist. ↩
Aus
den NiederlandenBelgien stammt auch der beste ungesunde Brotaufstrich der Welt – hach, ich könnte mich reinlegen. ↩Warum wir jetzt im Dezember Schuhe putzen müssen und Schokolade bekommen statt Goldklumpen, weiß ich auch nicht, aber auf jeden Fall ist dieser Bischof schuld, dass am 6.Dezember freudig in Schuhe geguckt wird. ↩
epískopos ↩
Die Kekse hätten nach dieser Logik eigentlich Episkopius heißen müssen, was ich durchaus auch annehmbar finden würde. ↩
Frauen werden vielleicht den Namen auch vom letzten Gynäkologie-Besuch kennen: http://de.wikipedia.org/wiki/Spekulum ↩
Die ersten Honigkuchen werden auf das Jahr 350 v. Chr. datiert. ↩
Hallo,
vielen Dank für die umfangreiche Spekulatius-Erklärung!
Wenn ich keine Spekulatius mehr gefunden hätte, dann hätte ich wohl das Rezept nachgebacken. Erst wenn es sie nicht gibt merkt man wie gerne man sie doch hat!
Grüße aus Südost-Asien!